Wenn man Anwältin UND Mutter ist, gibt es Kindergeburtstage, an denen man sich gedanklich nicht nur mit Kuchenteig, Kerzen und Luftballons, sondern auch mit Paragrafen beschäftigt. Selbst dann, wenn man sich einen Tag freigenommen hat und keine Akten bearbeiten muss. So ein Geburtstag war Nicks 7. Geburtstag, den wir vor kurzem gefeiert haben.
Als ich frühmorgens mit mehlpaniertem Pullover in der Küche stand und die Zutaten für den Schokokuchen zusammenrührte – fluchend, weil mal wieder ein Ei zu wenig im Kühlschrank war – fiel es mir plötzlich ein:
Ach du Schande, Nick ist ab heute beschränkt geschäftsfähig! Der Dreikäsehoch mit Zahnlücke, der gerade mit Hundeblick neben dir steht, weil er die Teigschüssel ausschlecken möchte, nimmt jetzt richtig offiziell am „Rechtsverkehr“ teil. Er kann Verträge abschließen. Ganz ohne mich. Ganz in echt. Nicht nur bei Monopoly.
Bei dem Gedanken an mögliche worst-case-Szenarien wurde mir abwechseln heiß und kalt.
Nick darf jetzt also rechtswirksam:
… essen was er will und sich 10 Kugeln fieses Schlumpf-Eis mit Streuseln UND Marshmallows kaufen.
… wie neulich vorgeschlagen: das prallgefülltes Sparschwein an Anni verschenken (sein großer Schwarm)
… seinen größten Traum erfüllen: den silbernen Becher, den ihm sein Patenonkel zur Taufe geschenkt hat, gegen den Lego Star Wars Millenium Falken, den sein Freund Johann immer zum Spielen mitbringt, eintauschen.
Ohne dass ich dagegen etwas tun kann. Oder doch?
Geschäftsunfähigkeit – was bedeutet das eigentlich genau?
Nachdem ich bei meinem Nachbar Micha ein Ei geschnorrt hatte, überlegte ich noch einmal genauer, was es mit der Geschäftsfähigkeit bzw. Geschäftsunfähigkeit von Kindern so auf sich hat. Ich schmiss gedanklich die Zeitmaschine an. Zurück zu den Basics. 1997. Jura 1. Semester. Im Hörsaal. Noch müde von der letzten Uniparty. Wir schreiben uns gegenseitig kleine Zettel statt Whatsapp-Nachrichten. „In Katis WG steigt morgen ne Tequila-Pizza-Party, biste dabei?“ Die Professorin kommt. Die Vorlesung beginnt. BGB – Allgemeiner Teil. Geschäftsfähigkeit. Ich konsultiere den Schönfelder (die dicke fette, rote, 2,5 kg schwere Gesetzessammlung, mit der man sich als Juro-Ersti noch gerne schmückt und dann irgendwann mega-lästig findet) und lese im BGB:
§ 104 Geschäftsunfähigkeit
Geschäftsunfähig ist: wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat (….)
§ 105 Nichtigkeit der Willenserklärung
Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nichtig. (…)
Aha. Bis gestern, also einen Tage vor dem 7. Geburtstag durfte Nick also kaufen und verkaufen, was er wollte – jede Willenserklärung und damit auch ein Vertragsschluss, waren unwirksam. Und zwar von Anfang an. Der Schlumpfeis-Kaufvertrag, der Sparschwein-Schenkungsvertrag und der Taufbecher-Tauschvertrag – alles wäre null und nichtig gewesen. Derartige Deals waren bis gestern rechtlich nicht existent, selbst wenn ich noch grummelnd ein „Ok, darfst du“ hinterhergeschoben hätte. Das bedeutet: Schlumpfeis (sofern noch nicht verputzt), Geld, Sparschwein, Taufbecher und der Lego Millenium Falke müssen an den ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben werden.
Doch das ist jedoch Schnee bzw. Eis von gestern. Ab der 7. Kerze auf dem Kuchen gilt Folgendes:
Einwilligungen, Genehmigungen und „schwebende Verträge“: Wenn das Kind beschränkt geschäftsfähig ist
Das mit der beschränkten Geschäftsfähigkeit ist leider etwas komplizierter. Hat mich schon im 1. Semester genervt. Ich fang mal mit den Basics an:
Mit dem 7. Geburtstag verlieren Kinder den Status „geschäftsunfähig“ und wechseln zu „beschränkt geschäftsfähig“. Das steht hier:
§ 106 BGB Beschränkte Geschäftsfähigkeit Minderjähriger
Ein Minderjähriger, der das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist nach Maßgabe der §§ 107 bis 113 in der Geschäftsfähigkeit beschränkt.
Nick darf mit dem Auspusten der 7. Geburtstagskerze aber nicht schalten und walten wie er möchte. Schließlich ist er ja nur „beschränkt“ und noch nicht „unbeschränkt“ geschäftsfähig. Das dauert noch weitere 11 Jahre. Erst mit Vollendung des 18 Lebensjahres (also ab dem 18. Geburtstag) erreichen sie den Status „unbeschränkt“ geschäftsfähig.
Erleichtert drückte ich Nick die Teigschüssel zum Ausschlecken in die Hand und schlage ncoh einmal gedanklich den Schönfelder auf.
Die Beschränkung erfolgt durch zwei rechtliche Machtmittel, die ich als gesetzlicher Vertreter einsetzen kann, falls Nick auf die Idee kommt Haus und Hof zu verscherbeln: Die EINWILLIGUNG, die GENEHMIGUNG und der Widerruf (Letzteres lasse ich mal außern vor, weil es nur in komplizierten Konstellationen von Bedeutung ist).
§ 107 Einwilligung des gesetzlichen Vertreters
Der Minderjährige bedarf zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters.
Wenn Nick also eine Erklärung abgibt, die nachteilig für ihn ist, muss ich vorher einwilligen. Das betrifft fast alle Verträge, die Kinder zwischen dem 7. und 18. Geburtsgtag abschließen, da sie Pflichten zu Lasten des Kindes begründen. Entscheidend ist übrigens die rechtliche Wirkung und nicht der wirtschaftliche Erfolg.
Nick braucht also zum Schlumpfeis-Kaufvertrag, zum Sparschwein-Schenkungsvertrag und zum Taufbecher-Tauschvertrag meine vorherige Einwilligung – weil er damit eine rechtliche Verpflichtung eingehen würde (Geld zahlen, Sparschwein und Taufbecher übergeben.)
Anders wäre es, wenn ER ein Geschenk bekommt – das wäre für ihn vorteilhaft. Meistens. Es sei denn, die Großtante zweiten Grades, die vor 40 Jahren nach Namibia ausgewandert ist, schickt ihm zum 7. Geburtstag ein Löwenbaby, oder ein echtes Gewehr – das wäre dann nicht mehr vorteilhaft für ihn, weil dadurch weitere Verpflichtungen entstehen (Löwenfutter, kindersicherer Waffenschrank) – dann müsste ich der Schenkung zustimmen.
Und nun zu Machtmittel Numero zwei – der GENEHMIGUNG:
In den meisten Fällen wird er mich – aus guten Gründen – natürlich nicht vorher um Erlaubnis fragen, sondern mit Schlumpfeis, fehlendem Sparschwein oder Star Wars Lego und fehlendem Taufbecher vor vollendete Tatsachen stellen… In diesem Fall, kann ich zwar eingreifen, ABER (und jetzt wird der große Unterschied zur GeschäftsUNfähigkeit deutlich) die Verträge sind nicht von Anfang an nichtig, sondern „schwebend unwirksam“ und müssen von mir genehmigt oder widerrufen werden,
§ 108 Vertragsschluss ohne Einwilligung
(1) Schließt der Minderjährige einen Vertrag ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung des Vertreters ab.
(…)
Die Genehmigung – oder Nicht-Genehmigung geht übrigens ganz einfach. Ich muss zu Nick nur sagen:
„Du bringst jetzt bitte das Schlumpfeis zurück und kaufst dir eine Kugel Bio-Vanillle-Eis.“ Oder „Schon ok, dass du das Eis gekauft hast, aber putz dir danach bitte die Zähne.“
„Neeeee, das Sparschwein darfst du nicht einfach verschenken, schenk der Anni doch lieber eins von deinen Kuscheltieren, die in deinem Zimmer verstauben. Ich rufe gleich mal ihre Eltern an.“
„Wir gehen jetzt SOFORT mit dem Millenium Falken zu Johann, geben ihm das Ding zurück und holen uns den Taufbecher. Sonst enterbt dich dein Patenonkel, wenn er das erfährt.“
Klingt eigentlich ganz einfach, oder? Doch wie immer gibt es noch eine Ausnahmen, die man kennen sollte:
Der Taschengeldparagraph – bei Kindern berühmt, bei Eltern berüchtigt
Wenn sich Nick von seinem Taschengeld Schlumpfeis kauft, ist das Rechtsgeschäft wirksam – ohne dass ich vorher oder nachher etwas tun kann. Die Zustimmung oder Einwilligung ist in diesem Fall ein zahnloser Tiger.
Das steht im sogenannten „Taschengeldparagraph“:
§ 110 Bewirken der Leistung mit eigenen Mitteln
Ein von dem Minderjährigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters geschlossener Vertrag gilt als von Anfang an wirksam, wenn der Minderjährige die vertragsmäßige Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm zu diesem Zweck oder zu freier Verfügung von dem Vertreter oder mit dessen Zustimmung von einem Dritten überlassen worden sind.
Während ich die Teigreste von der Abeitsfläche wischte, dachte ich an Nicks Taschengeld und versuchte mir dazu noch einmal die wichtigsten Fakten in Erinnerung zu rufen:
… Rechtsgeschäfte, die mit dem Taschengeld bezahlt werden, müssen sofort und im Ganzen bezahlt werden. Dabei darf das Taschengeld nur für alltägliche Dinge ausgegeben werden – zum Beispiel für Schlumpfeis, Bücher, Comichefte oder Star-Wars-Zeitschriften. Nick dürfte also kein Minion-Handyspiel-Abo kaufen. Und das Sparschwein darf er auch nicht Anni schenken – selbst wenn darin nur sein Taschengeld steckt.
…ein Anspruch auf Taschengeld hat Nick nicht, auch wenn es aus pädagogischen Gründen wertvoll ist
…wenn ich ihm Taschengeld zahle, kann ich die Höhe frei bestimmen. Orientieren kann ich mich an den Taschengeldtabellen der Jugendämter. Sehr wertvolle Gedanken dazu habe ich vor einiger Zeit bei Susanne Nullpunktzwo gelesen. Da muss ich heute Abend nah der Geburtstagsparty unbedingt noch einmal reinklicken.
Ausblick: Geschäftsfähigkeit versus Delikstfähigkeit …und was sich noch so ändert, wenn das Kind sieben wird
Übrigens waren das nicht die einigen Paragraphen, die mir an Nicks Geburtstag durch den Kopf kreisten (schlimm, oder?). Ab dem 7. Geburtstag ist mein Kind nicht nur beschränkt geschäftsfähig, nein, es ist auch deliktsfähig und kann unter gewissen Umständen für Quatsch, den er verzapft, haften. (Da gab es bei uns mal eine unangenehme Geschichte mit einer alten Meißner Porzellanfiur, die einst das Vertiko meiner Tante ziert…)
Was das damals auf sich hatte und im Detail rechtlich bedeutet erkläre ich euch beim nächsten Schokokuchen! Oder ihr bestellt euch schon mal mein Buch vor, das in wenigen Wochen erscheint, da gibt es nämlich ein ganzes Kapitel dazu 🙂
Liebst, eure Sandra
P.S. Wie viel Taschengeld zahlt ihr euren Kindern? Und was war das verrücksteste was sich euer Kind davon gekauft hat?
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