Bestimmt habt ihr schon vom Jamie-Oliver Skandal gehört, der in den letzten Tagen durch die Presse ging. Nein noch nicht? Jamie, englischer TV-Starkoch, Autor einer Vielzahl von Kochbüchern und Vierfachvater, gestand am Rande einer Gastromesse: „Kinder zu schlagen, ist nicht mehr besonders populär. Vor allem, wenn man Fernsehkoch ist wie ich, sieht das in den Zeitungen nicht gut aus. Also braucht man Alternativen.“ Seine Bestrafungsalternative bestand darin, dass er das Essen seiner Tochter heimlich mit einer extrem scharfen Chilischote bestrich.
Aufgrund dieser Äußerungen und befremdlichen Erziehungsmethoden hagelte es heftige Kritik und einen gewaltigen Shitstorm. Auch in der Bloggerwelt gab es einen großen Aufschrei und die liebe Susanne von Geborgen Wachsen hat zum Thema „Gewalt gegen Kinder“ zu einer Blogparade aufgerufen. Diesem Aufruf folge ich sehr gerne, denn das Recht auf gewaltfreie Erziehung, ist auch aus juristischer Sicht ein heikles Thema…
Von der Peitsche zum Zuckerbrot: Wie aus dem Züchtigungsrecht des Vaters das Recht auf gewaltfreie Erziehung wurde
Das Recht auf gewaltfreie Erziehung ist in Deutschland erschreckenderweise erst seit 2000 gesetzlich geregelt. § 1631 Abs. 2 BGB lautete bis 1957 noch so:
„Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden. Auf seinen Antrag hat das Vormundschaftsgericht ihn durch Anwendung geeigneter Zuchtmittel zu unterstützen.“
Unsere Gesetzgeber taten sich sehr schwer mit der Einführung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung. Auch nach der offiziellen Abschaffung des „elterlichen Züchtigungsrechts“ 1957, galt es gewohnheitsrechtlich noch lange weiter. Grund dafür war, dass in unserer Gesellschaft erzieherische Gewalt gegen Kinder historisch und traditionell sehr lange Zeit akzeptiert war (und teilweise noch ist). Der Klaps, die Ohrfeige, ja sogar die Tracht Prügel wurden (und werden immer noch) weitverbreitet als legitime Erziehungsmittel angesehen.
Nach verschiedenen halbherzigen Änderungen des § 1631 Abs. 2 BGB, wurde dann ein Jahr nach der Einführung der UN-Kinderrechtskonvention endlich das Recht auf gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankert. Heute heißt es in § 1631 Abs. 2 BGB:
„Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafung, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“
Ich habe mir beim Lesen sofort die Frage gestellt: Was kann diese Norm überhaupt? Kann sich ein Kind auf das Recht auf gewaltfreie Erziehung berufen und notfalls auch gegen die eigenen Eltern vorgehen? Und was ist eigentlich genau Gewalt in der Erziehung, bzw. wie sieht gewaltfreie Erziehung aus?
Klaps, Ohrfeige und Chili haben doch noch keinem Kind geschadet, oder: Welche Erziehungsmittel sind eigentlich erlaubt?
§ 1631 Abs. 2 BGB verbietet alle körperlichen Bestrafungen des Kindes, also Prügel, Schläge, Ohrfeigen und Klapse, Einsperren, festes Zupacken und angstauslösenden Bedrängen. Dazu gehört auch das Verabreichen einer Chilischote. Denn auch hier wird die „körperliche Unversehrtheit“ des Kindes beeinträchtigt (man denke nur an das Brennen und die Schmerzen und mögliche allergische Reaktionen). Körperliche Zwang“ um das Kind vor Gefahren zu retten, zählt jedoch nicht dazu – z. Bsp. das Zurückreißen, wenn ein Kind plötzlich auf die Straße läuft.
Seelische Verletzungen, zu denen ich ja auch schon ausführlich in meinem Blogeintrag „Bestrafung in der Kita – was ist eigentlich erlaubt“ geschrieben hatte, ist die Bekundung von Nicht- oder Missachtung, auch extreme Kälte, im Umgang mit dem Kind.Auch der Ausspruch: „Bist du dumm oder was?“ gegenüber einem Kind, über den Alex von Papaleaks in seinem lesenswerten Blogeintrag geschrieben hat, fällt zum Beispiel darunter.
Zu den entwürdigenden Maßnahmen, die das Gesetz als weitere Verbot ausspricht zählen seelische Maßnahmen, z. Bsp. das Kind wird dem Gespött anderer ausgesetzt, oder das Selbstwert- oder Ehrgefühl wird in unzulässiger Weise beeinträchtigt, zum Beispiel längeres Verweigern von Blick- und Gesprächskontakt.
Zu den Erziehungs-Geboten schweigt das Gesetz dagegen. Ermahnungen, Verweise, Ausgeh- und Umgangsverbote oder Taschengeldentzug – wenn diese nicht zusätzlich entwürdigend sind – dürften jedoch erlaubt sein.
Hilft § 1631 Abs. 2 BGB wirklich unseren Kindern?
Das Recht auf gewaltfreie Erziehung ist eigentlich nur ein zahnloser Tiger. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers hat diese Regelung nur auf eine Appellfunktion mit dem Ziel das Bewusstsein in der Bevölkerung zu ändern. Direkte Sanktionen gegen die Eltern sieht § 1631 Abs. 2 BGB nicht vor.
Daraus folgt, dass einzelne körperliche Strafen, seelische Verletzungen und entwürdigen Maßnahmen der Eltern gegenüber ihren Kindern gesetzlich NICHT sanktioniert und hingenommen werden. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, dass sich die staatlichen Behörden bei „milden Verfehlungen“, auch wenn diese gegen das Recht auf gewaltfreie Erziehung verstoßen, grundsätzlich nicht einmischen.
Erst dann, wenn eine gewisse Schwelle überschritten wird, wobei dazu auch schon ein einzelner Vorfall genügen kann, werden körperliche Verletzungen strafrechtlich verfolgt.
Bei Sorgerechtsentscheidungen kann § 1631 Abs. 2 BGB allerdings doch Zähne zeigen. Verstöße gegen das Recht auf gewaltfreie Erziehung werden von den Familiengerichten nämlich bei Sorgerechtsentscheidungen berücksichtigt, zum Beispiel bei der Beantragung des gemeinsamen Sorgerechts im Falle nicht verheirateten und getrennt lebender Eltern. Bei wiederholter erzieherischer Gewalt gegenüber Kindern kann das Familiengericht die elterliche Sorge sogar vollständig erziehen.
Ich habe lange gegrübelt und bin schließlich zu dem Schluß gekommen, dass § 1631 Abs 2 BGB gut gemeint ist, aber Kinder in vielen Situationen nicht ausreichend schützt. Hier sollte der Gesetzgeber noch einmal dringend nachbessern, durch ein Klagerecht für Kinder und milde Sanktionen bei milden Verfehlungen. Und wenn er schon dabei ist die Rechte unserer Kinder zu stärken, sollte der Kinderschutz auch gleich mit in unser Grundgesetz aufgenommen werden. Denn wir Heribert Prantl so schön in einemkürzlich erschienenen Essays gesagt hat: „Das Grundgesetz schützt die Tiere und die Umwelt – warum nicht die Kinder?“
Was kann jeder Einzelne von uns tun?
Gewalt gegen Kinder ist durch nichts zu rechtfertigen. Auch keine Gewalt die von den eigenen Eltern ausgeht. Erzieherische Gewalt gegen Kinder kann zu Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten führen. Kinder die Gewalt erfahren, neigen als Erwachsenen auch zu Gewalt.
Ich bitte euch alle: Sagt das weiter, diskutiert darüber, auch mit der älteren Generation, die dazu vielleicht noch andere Ansichten hat. Wenn Eltern in der Öffentlichkeit Gewalt gegen Kinder ausüben, sollten wir hinschauen, uns einmischen und die Eltern direkt ansprechen…äußerstenfalls auch nicht zögern Anzeige zu erstatten.
Und letztendlich sollten wir uns auch regelmäßig an die eigene Nase fassen. Gehen wir mit unseren Kindern wirklich immer fair und gewaltfrei um? Wann ist unser Geduldsfaden das letzte Mal gerissen? Wann haben wir etwas zu unserem Kind gesagt, was wir sofort wieder bereut haben? Und hat es neulich während des Trotzanfalls an der Supermarktkasse nicht sogar in der Hand gekribbelt? Ich bin dafür, dass wir in diesen Situation ganz laut STOP zu uns sagen und Astrid Lindgrens Worte in die Tat umsetzen:
„Man kann in ein Kind nichts hineinprügeln, aber vieles herausstreicheln.“
5 Kommentare
A.S.
3. Dezember 2014 at 19:58Zum Schluss fehlt mir ein bisschen was: Klar kann es gerade bei kleinen und kleinst Kindern notwendig sein, die Eltern anzusprechen. Jedoch wird dabei wieder ignoriert, dass Kinder eigenständige Personen sind. Warum also nicht die Kinder selbst ansprechen? Sie über ihre Rechte aufklären, wenn die Möglichkeit besteht. Ihnen vom Kinderschutzbund erzählen und sie darauf aufmerksam machen, dass ihre Eltern sie so nicht behandeln dürfen!
smart-mama
10. Dezember 2014 at 23:50Liebe A.S., Danke für diesen Hinweis! Wenn die Kinder alt genug sind, sollte man diese Möglchkeit auf jeden Fall ausschöpfen.
Evelyn
6. März 2015 at 13:09Das sind gute Hinweise, danke.
Noch eine Möglichkeit um das Kind zu stärken: Wenn es dann mal passiert ist, sollte man sich unbedingt beim Kind angemessen entschuldigen und klarstellen, dass man dieses Verhalten absolut inakzeptabel findet.
Zum einen heilt das vielleicht die Verletzung, zum anderen bildet es das Kind. Es weiß dann, wo die Grenzen sind. Und wird sie nach einiger Zeit auch einfordern, auch bei anderen Menschen: Erziehern, Lehrer, Großeltern, …
Zumindest ist das momentan so bei meinem Sohn (6).
Roga
30. September 2016 at 10:35Hallo Ihr Lieben,
Vielen Dank! für diesen wie ich finde sehr wichtigen Beitrag.
Und jaaaaa – Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie (körperlich, seelisch, psychisch) Erziehung auf ein gewaltfreies Leben.
Es Bedarf viel mehr an Aufklärung und Prävention was es bedeutet ein Kind zu bekommen. Eine Familie zu Gründen.
Dass Mütter und Väter an Ihre Grenzen kommen – schon mit Babys.
In der Gesellschaft muß! man für alles und jedes eine Ausbildung absolvieren, eine Prüfung machen.
Aber Kinder kann jeder so viel haben wie er möchte ohne jemals ein Praktikum gemacht zu haben. Einen Kurs besucht zu haben, ohne pädagogisches Hintergrund Wissen. Wie weit ist es denn immer noch verbreitet, daß man Babys schreien lassen müsste, um daß sie Lernen! alleine zurecht zu kommen! Mir schauderts wenn ich an Situationen wie diese denke. Und leider ist das Alltag in unserer Gesellschaft. Es ist nicht notwendig weit zu schauen, das passiert bei jedem im Umkreis von 50 km. Nur bekommt man es nicht immer mit. Traurigerweise liest man dann wieder einmal, daß Kinder unfassbare Schicksalen ausgesetzt sind. Wie Misshandlungen die sogar bis zum Tode führen. Ich für meinen Teil möchte ebenfalls in der Gesellschaft dazu beitragen, daß Kinder gewaltfrei und beschützt aufwachsen können. Also bitte ich ebenfalls darum – schreit es raus in die Welt, Kinder brauchen liebevolle Begleitung ins Leben – keine Bestrafung mit Gewalt oder seelisch/ psychisch.
Jürgen funke
8. März 2018 at 15:51Mal eine Frage, in wie fern ist das sogenannte in die Ecke stellen entwürdigend?
Zimmerarrest kann auch keine Strafe sein, weil man als Elternteil die Aufsichtspflicht verletzt. Bedenke man die Gefahren, wenn das Kind seine Zeit zur Strafe alleine im Zimmer verbringen muss ohne Internet fähige Geräte.